Hab jetzt 3 Tage ausführlich gespielt und als Paradox Veteran und Ricky Süchtiger möchte ich auch meine Eindrücke schildern.
Da ich es von Paradox ja gewohnt bin, daß die Spiele zum Erscheinungsdatum in den Eimer getreten werden können, wollte ich wenigstens 2-3 Patches oder das erste AddOn abwarten bevor ich mir Vicky 2 zulege.
Mittlerweile brauch ich aber mal eine Pause von Rome und HoI 3. Also wollte ich mich endlich mal in Europa Universalis III reinknien, dann wurde aber Divine Winds angekündigt und das mag ich nun abwarten, da mir EU III so wie es jetzt ist nicht zusagt. Blieb also als Ausweichmöglichkeit nur Ricky. Hat man aber erstmal die Vorteile der Clausewitz Engine eine Weile kennengelernt, mag man irgendwie nicht so recht auf die alte Europa Engine zurück.
Also hieß es vor ein paar Tagen dann doch - Gamersgate Account einschalten und Kontostand schröpfen. Die Downloadversion reicht mir, Handbücher les ich einmal und liegen dann eh in der Ecke, da sie ab dem ersten Patch bzw. AddOn nicht mehr viel wert sind.
Erster Eindruck nach 3 Stunden Preußen - WOW! Vicky mit Clausewitz macht Laune und ist eins der besten Paradoxspiele die ich bisher in meinen gierigen Fingern hatte. Nach 6 Stunden wandelte sich die Meinung in - es könnte eins der besten Paradoxspiele werden.
Für alle Vicky/Ricky Veteranen, Vicky 2 spielt sich "anders" als Vicky I, es ist das gleiche und doch völlig anders. Es ist detaillierter, komplexer trotzdem aber transparenter. Wenn man erstmal verstanden hast, welche Infos wo zu holen sind (da braucht man etwas Einarbeitung) ist relativ leicht zu verstehen warum passiert gerade dies und warum das.
Größere Änderungen sind unter Anderem, daß man die Pops nicht mehr selbst überwachen muss, das lästige splitten, up/downgraden fällt also weg. Pops führen ein Eigenleben und der Bauer aus Magdeburg der kein Geld verdient, macht sich jetzt selbständig auf den Weg nach Berlin um dort in einer Fabrik die Arbeiter sucht, Zement anzurühren. Der Eine oder Andere mag jetzt denken, er hätte keinen Einfluss mehr auf die Pops, das ist aber nicht so. Es stehen genügend Instrumentarien zur Verfügung um das Popverhalten zu steuern. Sei es der Wehr- und Bildungsetat oder ähnliches. Ein wichtiges Instrument ist ein nationaler Fokus den man auf Regionen setzen kann. Damit kann man als Regierung anweisen, in welche Richtung sich die Region entwickeln soll.
Die Diplomatie ist phänomenal. Kriege werden nicht mehr just for fun geführt, das Kriegszielsystem ist eine feine Sache, wer Semper Fi spielt kennt es schon. Eine tolle Sache ist auch die Einflussnahme auf kleinere Länder was nur Großmächte können. Nachdem meine Berater in sämtlichen Norddeutschen Staaten eine Weile dafür gesorgt haben, daß der preußische Einfluss dort enorm ansteigt, nutzte ich diese neu gewonnene Macht um diese kleinen Staaten doch höflich darum zu bitten ihrerseits die östereichischen Botschafter ihres Landes zu verweisen damit Österreich keinen Einfluss mehr in Norddeutschland ausüben kann. Alle norddeutschen Staaten folgten meiner Anweisung und das Habsburger Gesocks wurde überall des Landes verwiesen. Österreich lies das nicht auf sich sitzen und erklärte daraufhin Preussen den Krieg und erklärte, daß Preußen doch bitte die österreichische Vorherrschaft im deutschsprachigen Raum anzuerkennen habe.
Traumhaft!
So, nun die Knackpunkte. Nach einer Weile stellte ich fest, daß Fabrikarbeiter nicht zu befriedigen sind. Was die an Bedürfnissen habe ist so enorm, daß mit Steuersenkungen und selbst Subventionen dem nicht beizukommen ist, deren Löhne reichen einfach nicht aus um ihren täglichen Bedarf zu decken. Bei Kapitalisten ist es das gleiche. Im direkten Vergleich mit einem Bauer sind die Löhne von Fabrikarbeitern oft 3mal so hoch, die täglichen Bedürfnisse aber mehr als 10 Mal so hoch. Bei Kapitalisten ist es nicht unähnlich. Das führt nach ein paar Jahren zu massiven Problemen. Entweder führt es zu Unruhen, aber ich hab auch schon Ströme von Fabrikarbeitern auswandern sehen. Die wissen ja nicht, daß es ein Bug ist und sie auch in anderen Ländern ihren Bedarf nicht decken können
![Big Grin :D :D](data:image/gif;base64,R0lGODlhAQABAIAAAAAAAP///yH5BAEAAAAALAAAAAABAAEAAAIBRAA7)
So sehr Bug scheint das aber nicht zu sein, es sieht mir nach einer Notlösung von Paradox aus um die weltweite Güternachfrage oben zu halten. Das Balancing der gesamten Wirtschaft ist total daneben und nichtmal in einem Betastadium. Nachdem mir die Probleme mit den Fabrikarbeitern und Kapitalisten so richtig auf die Nerven gingen, änderte ich die entsprechenden beiden Textdateien und verpasste Fabrikarbeitern etwas mehr Bedürfnisse als die von Bauern, Kapitalisten etwas geringere Bedürfnisse als die von Aristokraten.
Das Ergebnis ließ sich sehen. Nachdem ich ein neues Spiel gestartet habe, war mein Staatshaushalt binnen eines halben Jahres auf Null, fast alle Nationen meldeten Bankrotte an. Die Nationalbanken waren nahezu überall pleite. Und das daurte gerade mal ein halbes Jahr. Interessanter Effekt. Nur die Bedürfnisse zweier Pops merklich auf ein normales Niveau gesenkt und alles bricht zusammen. Das hab ich mir näher angeschaut.
England hat bei Spielbeginn bereits ein gewaltiges Heer an Fabrikarbeitern und Kapitalisten. Diese halten in der Vanilla durch ihre gigantische Ressourcengier die weltweite Nachfrage oben. Durch meinen "Eingriff" war die Nachfrage nach Alltagsgütern bei Spielbeginn gerade ein Viertel so hoch wie das weltweite Angebot. Fazit, alle Preise gingen in den Keller, aber wirklich alle, die Nachfrage aller Produkte ging immer weiter zurück, während das Angebot stieg. Die Löhne in allen Lebensbereichen fielen in's Bodenlose da nichts mehr verkauft wurde und niemand Gewinne machte. Die einzigen die die Wirtschaft noch in Gang hielten, waren die Staatsapparate mit ihren Militärs und vom Staat bezahlten Pops. Da die Löhne aber in's Bodenlose fielen, gingen sämtliche Steuereinnahmen runter und zwar rasant. Anschliessend folgte ein internationaler Run auf die Staatsbanken um Kredite aufzunehmen. Nur - die Staatsbanken hatten kein Geld. Denn es gab Niemanden von den Pops der genug Geld hatte um etwas zur Bank zu bringen.
Wie gesagt, nach einem halben Jahr, war jeder Staat, jede Bank und jeder Pop pleite. Waren gab es im Überfluss, aber kein Geld um diese zu kaufen. Die Welt war vollständig zum Stehen gekommen.
Für mich sind aus dieser Erfahrung 2 Dinge interessant. Zum einen, Vicky 2 ist total unbalanciert. Das geht gar nicht. Ohne die Notlösung der gierigen Kapitalisten und Fabrikarbeiter funktioniert überhaupt nichts und man muß anschliessend mit den Problemen fertig werden die das mit sich bringt, Völkerwanderung und Rebellion. Mit Reformen kommt man da auch nicht bei, da die Nachfrage immer größer sein wird als das Realeinkommen. So ist eine konstante weltweite Nachfrage gewährleistet. Ein Notnagel also den Paradox da vermutlich derzeit mit Absicht eingebaut hat.
Interessant sind aber die wirtschaftlichen Zusammenhänge und wie diese simuliert sind. Es wurde alles bedacht, es ist alles da. Was das Game hergeben könnte ist so komplex, vielfältig und durchdacht, daß es einem den Atem raubt. Nur wird es schlicht noch nicht ausgenutzt, nichtmal im Ansatz.
Selbst die derzeitgen Mods sind Notlösungen und sagen mir gar nicht zu. Zwei davon habe ich probiert, bei einem schmecken mir die neuen Produkte und Fabriken die gleich mit eingeführt werden überhaupt nicht. Sieht aber so aus, als wären die nötig um die Wirtschaft zu einem späteren Zeitpunkt noch in Gang zu halten. Bei dem zweiten Mod den ich probiert habe sind Nationalbank und Zölle schlicht und einfach ausgeschaltet. Mit diesem Mod spiele ich, die Wirtschaft funktioniert und boomt, die Nachfragen der Pops sind ausgewogen und durchdacht. Dennoch nervt es, denn ohne Nationalbanken, keine Kredite und ohne Zölle kein Einfluss auf die Warenströme. Schade. Aber da können die Modder nichts dazu, ohne diese Mods macht es noch gar keinen Spaß.
Features die echt fehlen und hoffentlich mit einem AddOn nachgereicht werden, es gibt keine echte Trennung zwischen Binnen- und Weltmarkt. Diese ist zwar simuliert, aber es gibt keinen Einfluss darauf. Alle Beteiligten des Marktes (also Pops, Fabriken und Regierungen) versuchen ihre Nachfrage erst auf dem Binnenmarkt zu decken, reicht das Angebot dort nicht aus, wechseln sie automatisch auf den Weltmarkt. Was mich da stört ist das Wort automatisch. Ich kann ja nachvollziehen, daß ein hungernder Bauer der auf dem Binnenmarkt nix zu futtern bekommt, sich von allein einen Apfel aus den Niederlanden imporiert, aber daß ich als Regierung für meine eigens produzierte Nachfrage auf dem Weltmarkt einkaufe ist doch sehr ärgerlich.
So hatte ich zum Beispiel zwei Betonfabriken die vor sich hindümpelten, die weltweite Betonnachfrage war gerade ziemlich mies. Damit die Dinger nicht zumachen, hab ich beide Fabriken mit Steuergeldern subventioniert. Derweil entwickelten meine Forscher die einfache Eisenbahn. Der Staatshaushalt war gigantisch und es war genug Geld da um auf einen Schlag in ganz Preussen den Bau der Eisenbahn zu beauftragen. Da der Staat die dafür benötigten Ressourcen nicht vorrätig haben muss, sondern auch nach den Bauaufträgen nachreichen kann, war auf einen Schlag die Betonnachfrage in Preussen, ausgelöst durch den Staat, astronomisch. Da der Staat jetzt zuerst die Nachfrage auf dem Binnenmarkt deckt, fingen die beiden Betonfabriken an satte Gewinne einzufahren und die Kapitalisten stellten alles ein, was an Arbeitslosen da war. Die Löhne der Betonfabriken stiegen und Fabrikarbeiter aus anderen Fabriken wechselten sogar in die Betonfabrik. Diese hatte dann Vollbeschäftigung und Gewinne. Die Subventionen waren also unnötig, denn es war ja Nachfrage da. Nur - die hielt gerade mal 2 Wochen an. Da Preussen selbst diese Nachfrage nicht decken konnte, wich der Staat auf den Weltmarkt aus und kaufte dort alles was an Beton zur Verfügung stand bzw. irgendwo produziert werden konnte. Wären nicht genug Gelder dafür dagewesen, und hätte es eine Nationalbank gegeben (die hab ich nur durch den Mod nicht) hätte ich für den ungewollten internationalen Betoneinkauf sogar automatisch Kredite aufgenommen. So war die Nachfrage nach nur 2 Wochen gedeckt. Wer hatte jetzt all das schöne preussische Steuergeld? Die Briten! Die hatten so viele Betonfabriken, daß sie durch die preussische Eisenbahn plötzlich im Geld schwammen.
Hätte ich eine Option um die staatliche Nachfrage auf das Binnenland zu beschränken, hätten die Steuergelder in Preussen bleiben können. Sicher, hätte es eine Weile länger gedauert bis die preussische Bahn fertig ist, aber zeitgleich wäre die Binnenwirtschaft für Jahre angekurbelt. Stattdessen habe ich nur dafür gesorgt, daß Großbritannien an mir verdient und meine Betonfabriken musste ich nach 2 Wochen wieder subventionieren. Hier ist dringend Nachbesserung bzw. ein Feature gefragt um das regulieren zu können.
Insgesamt lässt sich sagen, ich bin froh, daß es eine Firma wie Paradox gibt. Es gibt einfach keine anderen vergleichbaren Spiele auf dem Markt die so tiefgehend sind, so komplex, so detailliert. Jeder Wirtschaftswissenschaftler hätte an Vicky II seine wahre Freude, dabei ist die Wirtschaft nur ein Teilaspekt. Bis in's kleinste Detail lässt sich nachlesen wer was braucht, warum und wieso und alles, wirklich alles hat Einfluss auf das gesamte Weltgeschehen. Traumhaft.
Aber leider, leider noch ein ungeschliffener Rohling.
Ich hoffe auf 2-3 Patches und 2 AddOns. Dann darf sich Victoria berechtigt für viele Jahre zur Königin der "Grand Strategy Games" krönen!